4. Juni 2007, Neue Zürcher Zeitung
90 Prozent Kauf- oder Halte-Empfehlungen für SMI-Werte
Im Jahr 2000 lauteten bis Anfang Oktober von den mehr als 20 000 Empfehlungen für amerikanische Aktien rund 99% der Analytiker-Einstufungen auf «Kaufen» oder «Halten». Die Titel von Enron empfahlen viele Finanzanalytiker beispielsweise ein Jahr später noch, als sie bereits einen grossen Teil ihres Weges von 90 $ auf 50 Cent zurückgelegt hatten. Anleger, die damals nicht selbst über die Börsenlage und die Nützlichkeit von derlei Empfehlungen nachdachten, wurden mit dem einsetzenden Einbruch der New- Economy-Aktien drastisch bestraft.
Nestlé und Credit Suisse als Favoriten
Aus den damaligen Übertreibungen hat die Analytiker-Branche gelernt. Zeugnis davon geben unter anderem die inzwischen selbstauferlegten Verhaltenskodizes. Ein Blick auf die Ratschläge der Experten für die Titel der Unternehmen, die im Swiss-Market-Index (SMI) vertreten sind, zeigt jedoch, dass sich der Markt erneut in einer «Bullen»-Phase befindet und dass die Analytiker wieder ausgesprochen optimistisch für «ihre» Unternehmen sind. 90% der Empfehlungen auf Sicht von zwölf Monaten lauten auf «Kaufen» oder «Halten», nur 10% auf «Verkaufen». Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Banken tendenziell nur Unternehmen analysieren, die sie vorab für interessant erachten. Das durchschnittliche «Kursziel» liegt gut 5% vom derzeitigen durchschnittlichen Kurs entfernt. Das erstaunt insofern, als viele Research- Häuser eine erwartete Performance von über bzw. unter 10% für ein «Buy»- oder «Sell»- Rating voraussetzen. Jedoch ist dabei anzumerken, dass viele Aktien in den vergangenen Wochen bereits stark gestiegen sind.
Angst vor grossen Fischen?
Die fünf Favoriten der Experten sind Nestlé, Credit Suisse, Nobel Biocare, Roche und Holcim mit teilweise über 80% Kaufempfehlungen. Am wenigsten erwärmen können sie sich hingegen für die Aktien von Ciba, Swisscom, Clariant, Julius Bär und Bâloise. Unter den Top 5 finden sich mit Holcim und Nobel Biocare nur zwei der Performance-Gewinner der vergangenen 52 Wochen. Dagegen rangieren drei der vier Aktien mit der schlechtesten Performance im selben Zeitraum - Synthes (1,9%), Novartis (2,3%), Swisscom (9,7%), Ciba (11,7%) - unter den fünf am schlechtesten bewerteten Unternehmen.
Erstaunliche Divergenzen zwischen den Prognosen und der Jahresrendite in der Vergangenheit tun sich bei Novartis, Roche und Julius Bär auf. Entweder haben sich die Aussichten für diese drei Unternehmen jüngst stark geändert (so sind die Papiere von Julius Bär zuletzt wegen anhaltender Übernahmephantasien stark gestiegen), oder es gibt andere Ursachen dafür. Kritiker meinen beispielsweise, Analytiker legten sich tendenziell mit grossen Unternehmen wie Novartis oder Roche - die derzeit gute Empfehlungen, aber keine gute Performance aufweisen - ungern an, da ihre Arbeitgeber derart grosse (potenzielle) Kunden nicht verprellen wollten. Vielleicht geniessen diese Weltkonzerne im Kopf der Analytiker aber auch einfach eine Art «Sicherer Hafen»-Bonus.
Wie auch immer, manche Beobachter sind ohnehin der Meinung, die Empfehlung «Halten» bedeute eigentlich «Verkaufen». Aus geschäftspolitischen Gründen trauten sich die Analytiker aber oft nicht, auch tatsächlich diesen Ratschlag, der als ein massiver Makel wahrgenommen wird, zu vergeben. Legt man für einen Vergleich der Empfehlungen diese Annahme zugrunde, kommt man für die SMI-Werte auf rund 60% Kauf- und 40% Verkaufsempfehlungen. Dies wäre ohne Zweifel ein plausiblerer Wert.
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Montag, 4. Juni 2007
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